Leben als Patchwork-Familie: Was für Kinder wichtig ist

Als Scheidungskind bin ich damals ab meinem vierten Lebensjahr in zwei Patchwork-Familien groß geworden. Nur gab es dieses Wort damals in den 80er Jahren noch nicht. Heute weiß jeder, was damit gemeint ist – und trotzdem ist das Leben nach einer Trennung mit einer „neuen Familie“ nicht immer einfach. Und zwar für alle Beteiligten. Erziehungs- und Familienberater Gerd Reiners hat mir im Interview erzählt, was bei diesem Familienmodell vor allem für die Kinder wichtig ist.
Gerd Reiners arbeitet in der Beratungsstelle für Kinder, Jugendliche und Eltern der Stadt Sankt Augustin als Erziehungs- und Familienberater.
Herr Reiners, was sind die Herausforderungen für Patchworkfamilien?
Eine traditionelle Familie ist klar umgrenzt, alle sind sich einig, wer dazu gehört: Mutter, Vater und die Kinder. Gut, vielleicht auch noch der Hund. In einer Patchworkfamilie ist das plötzlich nicht mehr so eindeutig. Der Vater bezeichnet zum Beispiel jetzt seine Tochter und seine neue Partnerin als Familie. Für seine Tochter bedeutet Familie aber nach wie vor ihre Mutter und ihr Vater. Familie heißt jetzt für jeden Patchwork-Teilnehmer also etwas anderes. Das ist plötzlich keine so stabile Einheit mehr wie früher.
Wann wird das schwierig?
Probleme entstehen, wenn Erwachsene das leugnen. Wenn der Vater also vor seiner Tochter darauf beharren würde: „Wir beide und meine neue Freundin Erika, wir sind jetzt Familie.“ Damit übergeht er das Empfinden und Erleben seines Kindes. Beim Thema Patchwork geht es oft darum, eine gute Wahrnehmung für die neue Konstellation zu entwickeln und sensibel darauf einzugehen.
Was machen viele Patchwork-Eltern falsch?
Viele wollen zu schnell zu viel. Man muss immer bedenken: Die Eltern haben sich ihre Partner und ihre neue Lebensform ausgesucht und nicht die Kinder. Eine große Hürde ist es, wenn die Eltern hier etwas vorantreiben wollen, was sich noch nicht entwickeln konnte. Für die neuen Partner gilt: Seien Sie vorsichtig mit Erziehungsmaßnahmen. Sonst heißt es sehr häufig vom Kind des neuen Partners: „Du hast mir gar nichts zu sagen.“ Das ist der Klassiker.
Was kann man da als Eltern tun? Wie klappt der Alltag besser?
Konfliktbelastete Erziehungsthemen - bei kleinen Kindern sind das oft Dinge wie Zähne putzen, ins Bett gehen müssen, zur Hausarbeit ermahnen – das sollten alles Tätigkeiten des leiblichen Elternteils sein. Der neue Partner kann sich anbieten und gerne Zeit mit dem Kind verbringen, aber eher Unangenehmes sollte er der Mutter oder dem Vater überlassen. Und natürlich sollte er nie darauf bestehen, dass das Kind „Mama“ oder „Papa“ sagt. Kinder behalten auch nach einer Trennung immer ihren Vater und ihre Mutter.
Das ist ja ganz klar.
Wichtig ist, dass auch in der Patchworkfamilie der abwesende Elternteil seinen Platz behält und der neue Partner nicht in Konkurrenz zu diesem tritt. Der neue Partner kann eine große Bereicherung sein, wenn er als Erweiterung oder als „Bonus“ verstanden wird. In Schweden spricht man zum Beispiel nicht vom Stiefvater, sondern vom Bonus-Vater.
Was können Eltern tun, wenn das Kind eifersüchtig auf den neuen Partner reagiert? Wenn es zum Beispiel immer dazwischen geht, wenn der Vater seine neue Partnerin umarmt oder küsst?
Wenn das Kind darauf reagiert, sollte man das ernst nehmen und das mit ihm besprechen. „Was ist los? Was macht dich so wütend? Hast du vielleicht das Gefühl, dass ich die Erika jetzt mehr lieb habe als dich?“ Trennungskinder haben ja erlebt: Mein Vater hatte meine Mutter früher lieb, aber jetzt hat er sie nicht mehr lieb. Sie befürchten: „Vielleicht hat Papa mich dann irgendwann auch nicht mehr lieb…“ Dieser Gedanke macht ihnen Angst.
Eltern sollten also versuchen zu verstehen, warum ihr Kind so reagiert.
Ja, aber die direkte Frage nach dem Warum an das Kind ist dabei aber meist nicht hilfreich. Kinder können oft noch nicht wirklich erklären, warum genau etwas für sie so ist. Besser sind Fragen wie: „Wann bist du wütend geworden? Was macht dich traurig? Wie kann ich dir am besten helfen?“ Und dann sollten Eltern mit ihren Kindern sprechen und ihnen die Dinge gut erklären.
Wie könnte solch ein Gespräch aussehen – etwa beim Thema Eifersucht?
Eltern sollten ihrem Kind klar machen, dass die Liebe zu ihm etwas Unveränderliches ist, etwas, das immer bleibt. Eine Mutter könnte da zum Beispiel sagen: „Bei Männern und Frauen ist es leider so, dass sich manche irgendwann nicht mehr lieb haben. Das war bei mir und deinem Papa auch so. Aber zwischen Eltern und Kindern ist das ganz anders. Diese Liebe hält ewig. Dich kenne ich ja von Geburt an, du warst damals schon in meinem Bauch und ich werde dich immer lieb haben, so lange ich lebe und egal was passiert. Du isst ja auch gerne Schokolade und spielst gerne mit Autos. Das sind zwei verschiedene Sachen, die kann man gar nicht vergleichen, aber die sind beide schön. So ist es auch mit meiner Liebe zu dir und mit der Liebe zu meinem neuen Partner.“
Streit gibt es ja häufig auch, wenn getrennte Eltern verschiedene Erziehungskonzepte verfolgen. Der eine verwöhnt das Kind, der andere will, dass es möglichst selbständig wird zum Beispiel.
Ja, das ist die große Herausforderung beim gemeinsamen Sorgerecht. Zwei Menschen, bei denen das Zusammenleben und Zusammen-Erziehen nicht mehr geklappt hat, müssen nach der Trennung ihr Kind weiterhin so gut es geht gemeinsam erziehen und begleiten. Diese Herausforderung fühlt sich für viele Trennungspaare im Alltag absurd an, dennoch ist das gemeinsame Sorgerecht aus meiner Sicht und aus der der meisten Erziehungsexperten eine gute Sache. Wichtig ist bei diesem Thema: Lassen Sie sich auf keinen Kampf um die Konzepte ein. Wenn der Vater es anders macht als Sie – lassen sie es so stehen und sagen Sie nicht vor Ihrem Kind „Dass der Papa dich noch jeden Morgen anzieht, ist total falsch.“
Warum ist das so wichtig?
Weil das Kind sonst in große Konflikte kommt. Besser ist es, gelassen zu bleiben und so etwas zu sagen wie: „Ja ich weiß, beim Papa ist es so. Aber ich mache es hier anders. Bei mir ziehst du dich selber an und ich weiß, dass du das schaffst.“ Wenn es zum Krieg der Konzepte kommt, wird es für das Kind immer problematisch.
Foto: Sokaeiko/pixelio.de
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Kommentar von uta |
Ich bin da anderer Meinung was das gemeinsame Sorgerecht anbelangt. Ich finde es leider nicht so gut in unserem Fall. Ich erziehe das Kind, arbeite 75 % um uns beide über die Runden zu bringen und der Vater hat die schönen Wochenenden ausschließlich um sich ums Kind zu kümmern.
Erzogen wird überhaupt nicht aber er hat zu allem eine Meinung.
Ich finde ein Kind sollte in "einer Familie" leben und nicht in einer Alltagsfamilie und einer Spassfamilie.
Antwort von Christina Rinkl
Hallo Uta,
danke für deinen Kommentar.
Ich glaube, das perfekte Betreuungsmodell nach der Trennung gibt es nicht, jedes Modell hat Vor- und Nachteile.
Vielleicht wünscht sich dein Ex ja auch insgeheim "mehr Alltag" mit eurem Kind? Und du dafür ab und zu mehr Spaß und Leichtigkeit?
Herzliche Grüße,
Christina
Kommentar von Julia |
Hallo Uta,
ich bin auch alleinerziehend und meine Kids sind alle zwei Wochen bei ihrem Papa. Natürich wird da ein "Spaßprogramm" geboten. Ich denke, dass ist aber auch ganz legitim, schließlich "muss" er auf die beiden verzichten. Und ja, ich habe auch das Gefühl, dass ich nach dem Wochendende bei der Erziehung von vorne anfangen muss. Muss aber auch sagen, dass es immer besser wird und sie wissen, wo was "erlaubt" ist. Ich erkläre viel und lasse keinen neagtiven Kommentar über ihren Papa los. Jeder hat das Recht, das beste für seine Kinder zu tun. Ich finde es einfach wichtig, dass sie nicht auf den Papa verzichten sollen und sie somit die Zeit genießen können. Ja ich muss den Alltag meistern, aber so ist es eben. Ich denke, wenn man das Ganze annimmt und lernt damit umzugehen, hat jeder was davon. Ich gönn dem Vater meiner Kinder eine schöne Zeit. Das finde ich wichtig.
LG Julia
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